«In Basel muss man die Leute überraschen — viele glauben, sie hätten schon alles gesehen.»

Von der Gründung eines eigenen Ausstellungsraums in Los Angeles bis zur Leitung der Basler Dependance der Galerie Wilde; nun befindet sich Simmy Swinder Voellmy in einer Phase der Neuerfindung – ohne festes Galerieprogramm, das sie bindet. Basel sei für sie der ideale Ort für diese neue Freiheit: reich an Institutionen, zugleich kompakt genug, um schnell zu experimentieren und Ergebnisse zu sehen. Wir haben mit Simmy Swinder Voellmy über ihren Werdegang und ihren Blick auf das Basler Kunstökosystem gesprochen, über den Wandel von kommerziellen Galerien hin zu Künstlerinitiativen und über ihr neues kuratorisches Kapitel. In den kommenden Wochen eröffnet sie gleich zwei Ausstellungen – eine im ehemaligen Soft Space, die andere im Kunstforum Baloise Park.
Simmy, du bist seit einigen Jahren Teil der Basler Szene. Erzähl uns von deinem Hintergrund – und wie es dich überhaupt hierher verschlagen hat.
SV: «Ich habe fünf Jahre lang meinen eigenen Space in Los Angeles geführt und internationale Galerien eingeladen, dort Ausstellungen zu realisieren. Gemeinsam suchten wir jeweils Künstler:innen aus, die einen Buzz generieren würden und produzierten dann eine Ausstellung – zum Beispiel mit Karma International, die den Raum schliesslich übernahmen, als ich nach Basel zog.
Meinen Mann habe ich an der Art Basel Hongkong kennengelernt, wo wir beide arbeiteten – er für die Messe, ich als Beraterin. Später entschieden wir uns, Basel zu unserem Zuhause zu machen. Ursprünglich sollte es nur vorübergehend sein, doch dann kam die Pandemie. In dieser Zeit habe ich begriffen, wie grosszügig, komfortabel und unterstützend diese Stadt ist. Es ist ein grossartiger Ort, um Kinder grosszuziehen. Meine beiden Mädchen haben so viel Selbstbestimmung über ihre Körper, und das ist nicht selbstverständlich. Nach meinem Engagement bei der Art Basel wechselte ich zum Schaulager und betreute dort VIP-Gäste für die gemeinsam mit dem MoMA in New York produzierte Bruce-Nauman-Ausstellung.»
2019 hast Du die Leitung der Galerie Wilde in Basel übernommen. Wie kam es dazu?
SV: «Dorian Sari – damals Student an der HGK und bereits Künstler der Galerie Wilde in Genf – sprach mich an und erwähnte, dass die Galerie für den Basler Standort eine Leitung suche. So habe ich 2019 Wilde in Basel eröffnet und die Gruppenausstellungen kuratiert. Es war eine wunderbare Möglichkeit, neue Stimmen in ein etabliertes Programm zu bringen, zumal Wilde, 1990 in Genf gegründet, eine so traditionsreiche Galerie ist.
Viele der Künstler:innen sind in der Romandie sehr bekannt, doch zwischen der deutsch- und französischsprachigen Schweiz verläuft ein echter Graben. Wir holten diese in Genf sehr berühmten Künstler:innen nach Basel – und kaum jemand kannte sie. Die Gruppenausstellungen wurden dann zur idealen Gelegenheit, lokale Kunstschaffende zum Teil erstmals vorzustellen, etwa Cassidy Toner oder Seline Burn. Es mangelt hier wirklich nicht an starken Positionen.
Nun hat Wilde entschieden, in Basel kein aktives Programm mehr zu betreiben, und nach sechs Jahren bin ich auf mich gestellt. Zum ersten Mal habe ich wieder Zeit, Gegenwartskunst im grösseren Zusammenhang zu denken – die Trends zu beobachten, statt ein fixes Galerieprogramm zu betreiben. Es ist eine Phase der Entdeckung: viele Atelierbesuche, viele Ausstellungen und viele eigene Ideen, die ich nähren kann.»

Was macht Basel für künstlerische Arbeit so attraktiv?
SV: «Aus dem Vergleich zwischen Los Angeles und Basel habe ich erst richtig schätzen gelernt, was diese Stadt ausmacht. Basel hat kulturelles Gewicht. Für diese Bevölkerungsgrösse ist die Dichte an Institutionen aussergewöhnlich. Weltklasse-Museen, Kunsthallen, Messen, die Kunstschule, Stiftungen, unabhängige Räume, Galerien – und sogar multinationale Unternehmen, die Kunst substanziell unterstützen – alles in einer Stadt, die man mit dem Fahrrad erschliessen kann.
Dazu kommt eine kenntnisreiche Sammlerschaft, enormes Produktions-Know-how und der Dreiländerkontext, der Ideen über Sprachen und Disziplinen hinweg in Bewegung hält. Auch die Grösse Basels spielt mit hinein: Man kann am Dienstag etwas testen, es bis Freitag überarbeiten und eine Woche später sehen die richtigen Leute das Ergebnis. Vielleicht etwas übertrieben, aber der Punkt bleibt: Basel ist anspruchsvoll, ohne künstlich hektisch zu wirken – und das ist selten.
All das verschafft Basel einen beeindruckenden Ruf, den ich selbst mittragen möchte. Gleichzeitig kann in einer kulturell so gesättigten Stadt auch ein Mangel an Neugierde entstehen. Aufmerksamkeit zu gewinnen ist nicht leicht an einem Ort, in dem Kunst so früh und so selbstverständlich in die Lebenswelt der Menschen verankert wird. Manche nehmen sie schlicht als gegeben hin und verfallen in ein ‹Kenn ich schon, nichts kann mich überraschen›-Mindset.»
Wenn du zurückblickst: Was hat sich in den letzten Jahren in der Szene verändert?
SV: «Das lokale Geschehen muss man im globalen Kontext sehen. Während in den vergangenen Monaten viele kommerzielle Galerien geschlossen oder fusioniert haben, florieren Offspaces und andere nicht kommerzielle Räume. Diese Orte tragen eine andere Energie in sich: gemeinschaftlicher, experimenteller – und essenziell für eine lebendige Szene. Basel bleibt ein internationaler Knotenpunkt, gleichzeitig ist die Szene inklusiver und offener für neue Präsentationsformen geworden. Auch das Sammeln hat sich verändert: jüngeren, vielfältigeren Perspektiven wird mehr Aufmerksamkeit zuteil.
Gleichzeitig hat sich der Rhythmus beschleunigt: Offspaces entstehen schneller und verschwinden auch schneller wieder – das hält den Diskurs frisch. Auch andere Faktoren haben sich verändert: Zeitbasierte und hybride Arbeiten sind präsenter, Installationsstandards steigen, obwohl die Budgets schrumpfen. Institutionen kooperieren sichtbarer, und das Publikum wirkt jünger und internationaler – nicht nur während der Messe. Parallel dazu sind Produktionspartner:innen agiler geworden, und selbst bei haptischen Praktiken gibt es inzwischen eine grosse Offenheit für den Umgang mit digitalen Tools.»

Du zeigst nun zwei Ausstellungen: eine im ehemaligen Soft Space und eine im Kunstforum Baloise Park – zwei völlig unterschiedliche Orte. Worum geht es, und wie beeinflusst der Raum deine kuratorische Arbeit?
SV: «Es sind tatsächlich zwei völlig verschiedene Kontexte – genau das macht es so spannend.
Im Kunstforum Baloise Park präsentiere ich ‹On your marks, get set, go!› (November 2025 bis Mai 2026). Die Ausstellung untersucht den Moment vor dem Beginn einer Handlung – diese Schwelle, in der die Zukunft nur als Möglichkeit existiert. Ich bringe Werke aus der Baloise-Sammlung von Tracey Moffatt, Mrzyk & Moriceau, Mario Bollin, Karin Schaub-Ruperti in Dialog mit eingeladenen Positionen: Esther Hunziker, Clare Kenny, Dirk Koy, Ai Makita, Tobias Nussbaumer, Sibylle Ruppert, Julia Steiner und René Wirths.
Es ist ein institutioneller Raum mit einem ‹eingebauten›, professionellen Publikum, das die Ausstellung im Arbeitsalltag erlebt – daraus entsteht ein besonderer Austausch. Ich bin sehr gespannt, wie diese Besucher:innen und die breitere Öffentlichkeit auf die Erzählung reagieren, die ich mit den Werken aufspanne.

Ganz anders ist die Ausstellung von Charles Benjamin an der Clarastrasse 50. Das Gebäude war früher ein Wohnhaus mit Blumengeschäft, später ein Kreativort. Ein Freund besitzt es, will es abreissen und neu aufbauen – ein Projekt, das weiterhin Raum für Experimente schaffen soll. Baubeginn ist am 17. November; wir sind die letzte Intervention im Gebäude, für genau zwei Wochen. Unsere Finissage am 15. November findet bei Kerzenlicht statt, weil am Vortag der Strom abgestellt wird.
Ich kenne Charles seit vielen Jahren und vertraue seiner Vision vollkommen. Er ist ein in Basel lebender, schwedisch-stämmiger Maler, HGK-Absolvent und war früher Techniker bei Wilde. Es ist eine schöne Entwicklung in unserer Beziehung, seinen Arbeiten eine Solo-Ausstellung widmen zu können.
Charles versteht Malerei oft als architektonisches Mittel – perfekt für diese Gebäudebiografie. Malerei steckt ja permanent in einer Art Legitimationskrise: Kann ein Gemälde die Welt verändern? Wahrscheinlich nicht. Aber es kann einen Raum verändern. Für die Ausstellung legt er ein 12 × 7 Meter großes Gingham-Bild auf den Boden – ein Muster voller kultureller Bedeutungen. Mit augenzwinkernder Ironie greift er die Idee des Dekorativen auf, um eine ‹volle Leere› zu erzeugen, die den Raum emotional umlagert.
Jeder Raum verlangt eine eigene kuratorische Haltung: Im Kunstforum geht es um konzeptuelle Brücken zwischen Sammlung und Gegenwart, im Kontext eines professionellen, institutionellen Rahmens. In der Clarastrasse dagegen entsteht etwas Dringliches, Situatives, Lebendiges. Zusammen verkörpern die zwei Orte zwei notwendige Pole des Basler Kunstökosystems.»
Oktober 2025
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Simmy Swinder Voellmy (*1985) ist eine schweizerisch-amerikanische Kuratorin und Kunsthistorikerin mit internationaler Ausrichtung. Ihr interkultureller Hintergrund prägt eine dialogorientierte kuratorische Praxis, die sie in Museen, Galerien und unabhängigen Initiativen entwickelt hat. Sie studierte Philosophie und Kunstgeschichte in Berkeley und Padua sowie Art Business am Sotheby’s Institute in New York. Als Gründerin des Kunstraums Four Six One Nine in Los Angeles realisierte sie zahlreiche internationale, kollaborative Projekte. Von 2019 bis 2024 leitete sie die Galerie Wilde in Basel; zuvor arbeitete sie für die Art Basel und das Schaulager.



