10 June 2025

Ein Blick hinter die Kulissen von Irène Zurkinden

Portrait Rebecca Eigen. Photo: Kulturstiftung Basel H. Geiger | KBH.G

Die letzte institutionelle Schau über die Künstlerin Irène Zurkinden fand vor fast 40 Jahren statt. Nun kann ihr breites Schaffen in der Kulturstiftung Basel H. Geiger neu entdeckt werden. Rebecca Eigen und Reto Thüring haben zwei Jahre zur Künstlerin geforscht und zeigen anhand von über 100 Werken die Vielfältigkeit von Zurkindens Themen und neue Aspekte, die bisher noch wenig Beachtung fanden. Mit Rebecca Eigen durften wir hinter die Kulissen blicken und bereits bei der Installation der Ausstellung erste Einblicke gewinnen.


Im Pressetext kündet ihr eure Ausstellung als «spannende Wiederentdeckung einer eindrucksvollen Künstlerin» an. Wieso muss Zurkindens Werk wiederentdeckt werden?

RE: «Irène Zurkinden als Person sowie ihr Werk sind bis heute bekannt und gut im regionalen Gedächtnis verankert. Es gibt viele Leute, die sie gekannt haben und noch heute von Erlebnissen mit ihr berichten, da sie in der Szene sehr präsent war und einen lebenslustigen und energetischen Charakter hatte. Die Erinnerung an diese Persönlichkeit überschattet zuweilen einen sorgfältigen Bilck auf das gesamte, sehr nuancierte Oeuvre. Wir möchten nicht Zurkinden die Laternenmalerin und Auftragsporträtistin der Oberschicht präsentieren, sondern haben uns für einen anderen Blickwinkel entschieden, in dem wir uns auf den Teil ihres Oeuvres konzentrieren, in welchem sie als freie Künstlerin hervortritt. Besonders spannend finden wir dabei, dass sich in diesen freieren Werken viele Verbindungen zu Diskursen knüpfen lassen, die heute aktuell sind. Das sind Themen, wie der männliche und weibliche Blick oder Rollenvorstellungen, deren künstlerische Bearbeitung im Rückblick der Zeit gesehen überrascht und eindrücklich ist.»

Wieso geriet sie überhaupt in Vergessenheit?

RE: «Zurkinden bewegte sich in verschiedenen Gesellschafts- und Künstler:innenkreisen, sei es bei den Surrealist:innen oder der Gruppe 33 - das ist alles verbürgt und niedergeschrieben. Ihre Persönlichkeit und ihr Werk wurden dann aber immer stärker voneinander abgetrennt und sie trat nur mehr in Fussnoten als diejenige auf, die Meret Oppenheim nach Paris in den Kreis der Surrealist:innen gebracht hat. Hingegen wurde dem Werk von Zurkinden über die Zeit immer weniger Bedeutung beigemessen, weswegen es bisher verpasst wurde, die darin stark vorhandene Sensibilität für die Darstellung von Geschlecht, Verlangen, und, wie schon erwähnt, dem Rollenspiel zu würdigen. In unserer Überblicksschau gibt es in den chronologischen und thematischen Gruppierungen beispielsweise eine Reihe von Selbstporträts, in der sich Zurkinden mal im Malerkittel, mal nackt und schwanger, aber immer als herausfordernd Blickende zeigt. Eine weitere Gruppe zeigt Theater- und Zirkusszenerien, die man in der Kunstgeschichte zwar schon als eigenes Motiv kennt; Zurkinden spielt aber in diesen Darstellungen beispielsweise mit Rollenzuordnungen, in dem die Zirkustiere von einer Frau und nicht von einem Mann dominiert werden. Und solche Abweichungen werden erst jetzt richtig entdeckt.»



Für die Ausstellung habt ihr Zurkindens Skizzenbücher digitalisiert und zeigt im ersten Raum, als Auftakt zur Ausstellung, ausschliesslich Arbeiten auf Papier. Was findet ihr daran besonders spannend?

RE: «Wir interessieren uns dafür, wie Zurkinden auf die Welt geschaut hat. Das Skizzenbuch war ihr täglicher Begleiter, den sie immer mit sich trug. Sie hat darin ihr Leben in visueller Form festgehalten. Die Skizzenbücher empfinden wir deswegen fast als ‹visuelle Tagebücher›, die tägliche Beobachtungen, Überlegungen und Reflexionen der Künstlerin beinhalten. Sie hielt darin ihre Eindrücke von Reisen, Menschen und Tieren fest - manchmal als schnelle, unmittelbare visuelle Notizen, manchmal als sorgfältige Skizzen und Studien, die für spätere Darstellungen in Gemälden dienten.

Da Spuren aus allen Lebensbereichen in den Skizzenbüchern erfahrbar sind, eröffnen diese die Möglichkeit eines Zugangs, nicht nur zum Werk, sondern auch zum Leben der 1987 verstorbenen Künstlerin. Wir haben 107 Skizzenbücher studiert, davon können wir in der Ausstellung aber nur einen Bruchteil präsentieren. Exemplarisch sind eine Handvoll Hefte als Digitalisate zum Durchblättern aufbereitet worden.»

Die letzte Zurkinden-Monografie aus dem Jahr 2006 legte ihre Schwerpunkte noch auf die Pariser Stadtansichten und Porträts. Ihr habt nun eine über 300 Seiten umfassende Publikation zusammengestellt, mit Texten, die Zurkinden neu kunsthistorisch einordnen, aber auch mit Essays und Bildtafeln, die einen starken Fokus auf die Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem Körper legen.

RE: «Die Würdigung von Zurkinden als gekonnte Malerin von Stadtszenerien, die zu ihrer Entstehungszeit Verkaufsschlager waren, ist bereits geschehen und die möchten wir auch nicht umstossen. Die Künstlerin konnte diese Werke sowie die Auftragsarbeiten gut verkaufen und das ermöglichte ihr, als unverheiratete Frau, sich und ihre zwei Kinder durchzubringen. Als Teil von öffentlichen und privaten Sammlungen sind diese Werke auch immer wieder reproduziert und ausgestellt worden. Bei unserer zweijährigen Recherche zum Werk haben wir festgestellt, dass ihre Themen und Motive jedoch stärker in die Breite gehen, als es in der grösseren Öffentlichkeit bekannt ist. Damit möchten wir keine neue Hierarchie auftun, sondern die Perspektive auf die Künstlerin erweitern. Und die zeigt eine progressive Künstlerin mit einem grossen Interesse unter anderem am nackten Körper und an der Darstellungen von Intimität. Und diese Personendarstellungen funktionieren nunmal ganz anders als ihre bekannten Auftragsporträts. Wir möchten Zurkinden nicht in Diskurse einfügen, die erst später entstanden sind, jedoch den Blick dafür öffnen, wie offen sie in ihrer Zeit schon mit dem Körperbild umgegangen ist. Nicht zuletzt können wir ihr Werk so auch neuen Generationen zugänglich machen.»

Zurkinden war ein lebendiges Mitglied der Pariser und Basler Künstler:innenszene, die an den legendären Festen im Schluuch der Kunsthalle mitfeierte. Betrachtet man ihre Gemälde, entdeckt man oft vermeintliche Unvollendetheiten und zarte Andeutungen - Zustände also, die fast konträr zur Extrovertiertheit ihrer Persönlichkeit stehen.

RE: «Irène Zurkinden war zu ihren Lebzeiten eine Stadtheilige und wie sie selbst sagte, ‹bekannter als das Basler Münster›. Und so ist sie vielen im Gedächtnis geblieben, einfach als ‹Irène›. Hinter dieser Figur steht aber eine Person, die sich auch mit Identitätsfragen, dem männlichen Blickregime oder der Rolle der Frau auseinandersetzte. Wir versuchen in unserer Perspektive die verschiedenen Identitäten der Irène Zurkinden als Kunstmalerin, ‹Stadtheilige› und Mutter neu zu nivellieren und so einen differenzierteren Blick auf sie als Künstlerin zu gewähren, als dies bisher getan wurde.»

Gleich neben Zurkindens Selbstporträts ist in der Ausstellung auch ein Bild ihrer Katze Matou zu sehen - welche Rolle spielt dieses Tierporträt?

RE: «Matou ist der Name einer von Zurkindens Katzen, der die Künstlerin ein eigenes Skizzenbuch gewidmet hat und zwar mit dem Titel ‹Le Matou Magnifique›. Wir hatten uns gefragt, wie wir die Skizzenbücher, die einen einzigartigen Zugang zu Zurkinden schaffen, in diese Ausstellung einfliessen lassen können. Deswegen haben wir Ariane Koch angefragt, sich mit dem Material auseinanderzusetzen, die daraus ein fantastisches Skript geschrieben hat, das von Garrick Lauterbach verfilmt wurde. Darin leitet die Katze Matou in der Manier des Surrealismus als Erzählerin durch das Leben der Künstlerin. Entstanden ist ein filmisches Werk, das intim und fiktional-spekulativ das Leben und Werk von Irène Zurkinden erkundet.»

Juni 2025

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Irène Zurkinden: die Liebe, das Leben 13. Juni - 7. September 2025. Vernissage, 12. Juni, 18h.

Irène Zurkinden: die Liebe, das Leben, Ausstellungskatalog Kulturstiftung Basel H. Geiger. Texte von: Quinn Latimer, Marie-Eve Celio-Scheurer, Florian Illies, Rebecca Eigen, Reto Thüring, Raphael Suter, 312 Seiten, 120 Abbildungen.