«Residencies können einen Wendepunkt in der Biografie von Künstler:innen bedeuten.»

Seit fast 40 Jahren ermöglicht Atelier Mondial mit Kunstresidencies einen internationalen Austausch. Wir haben mit Alexandra Stäheli, Leiterin Atelier Mondial, über die Nachhaltigkeit und die Herausforderungen von Residency-Programmen gesprochen. In der Ausstellung «Seedlings of Time», ab 5. Dezember im space25 zu sehen, werden fünf Positionen präsentiert, in denen sich der Auslandsaufenthalt sichtbar im Werk niedergeschlagen hat.
Atelier Mondial organisiert jährlich bis zu 30 Residencies für Outgoing und Incoming artists. Wie wichtig sind Auslandsaufenthalte noch in einer digital vernetzten Welt, die mit Billig-Mobilität bereisbar ist?
AS: «Gerade in Zeiten, in denen das Reisen schnell, günstig, individuell und vielleicht auch etwas anonymer geworden ist, übernehmen mehrmonatige Residencies eine wichtige Funktion, denn sie ermöglichen den Kunstschaffenden, sich auf die künstlerisch-kulturellen Gegebenheiten einer Region tiefer einzulassen, Menschen kennenzulernen, vielleicht sogar Freundschaften zu schliessen und Kontakte mit der lokalen Kunstszene zu knüpfen, was in manchen Fällen einen Wendepunkt in der Biografie der Künstler:innen bedeutet. Es gibt Künstler:innen, die nach ihrer Residency immer wieder nach Basel zurückkommen, weil sie hier Freunde gefunden und ein Netzwerk aufgebaut haben.»
Wie entstehen heute nachhaltige Verbindungen zwischen lokalen Szenen und internationalen Gastkünstler:innen?
AS: «Die Verbindungen entstehen in unseren Breitengraden leider in den seltensten Fällen von alleine – was mich immer wieder auch erstaunt und manchmal auch etwas irritiert. Im Vergleich zu anderen Regionen der Erde – wo die Kunstschaffenden auf Interesse stossen, weil sie eine Perspektive von aussen bringen und so schneller in Kontakt mit einer Kunstszene kommen – haben wir hier eine eher schwache Willkommenskultur. Daher vernetzt das Atelier Mondial-Team die Gäste regelmässig durch Ausstellungen, Events und informelle Get-Togethers mit Partnerinstitutionen, Freund:innen von Atelier Mondial und Kulturschaffenden, von denen wir denken, dass diese Begegnungen für beide Seiten spannend sein könnten.»

Atelier Mondial (ehemals iaab) gibt es seit 1986. Wie hat sich das Angebot an Residencies in den letzten Jahren entwickelt? Gibt es einen Austausch zwischen Residency-Anbietenden an dem aktuelle Challenges besprochen werden?
AS: «Das Programm entwickelt sich kontinuierlich weiter, sowohl was die Struktur als auch die Destinationen des Austauschs betrifft. Vor ein paar Jahren hat sich das Programm, das bis dahin nur auf Kunstschaffende ausgerichtet war, für weitere Bereiche wie Mode & Textil, Darstellende Künste, Literatur und Kulturvermittlung aller Sparten geöffnet. In diesem Jahr haben wir in Zusammenarbeit mit dem Verein RENA (Refuge Network for Artists) ein Programm für artists at risk aufgemacht, also für Künstler:innen, die sich in einer lebensbedrohlichen Lage befinden und ihren aktuellen Ort dringend verlassen müssen. Es gibt den Verein AIR Schweiz, der hin und wieder diesen Austausch zwischen den Residency-Anbietenden, aber vor allem auch zwischen den aktuellen Gastkünstler:innen in der Schweiz anbietet; wir tauschen uns aber auch informell mit anderen Residency-Anbietern aus, z.B. indem wir uns gegenseitig besuchen und best practices (und worst practices) besprechen. Wir hatten im Sommer Besuch vom Schloss Solitude in Stuttgart, im Jahr davor von der Villa Sträuli in Winterthur, und mit der Residency in der Kaserne stehen wir in regelmässigem Kontakt. Im kommenden Jahr werden wir einen Gegenbesuch in der Villa Sträuli machen.»

Was brauchen Künstler:innen am Anfang einer Residency am meisten, um nicht nur anzukommen, sondern den Ort produktiv nutzen zu können?
AS: «Das ist sehr individuell und hängt auch davon ab, woher die Künstler:innen kommen und ob sie davor schon einmal in einem europäischen Land waren. In manchen Fällen müssen sie sich zuerst einmal im Alltag zurechtfinden, bevor sie mit der künstlerischen Produktion anfangen können, da kommt es auch schon mal vor, dass wir mit ihnen einkaufen gehen, weil sie die Produkte nicht lesen können oder auch nicht wissen, wo man was erhält. Andere Kunstschaffende beginnen am Tag 2 mit ihrer Arbeit und erkunden gleich die Gegend, wieder andere benötigen etwas ganz Spezifisches, haben vielleicht auch ein Projekt, für das sie ganz spezifische Personen treffen müssen – dann versuchen wir, diese Treffen zu arrangieren. Wichtig ist für uns aber auch immer, dass eine Vernetzung mit unseren Nachbar:innen, mit den Menschen und Institutionen auf dem Campus der Künste zustande kommt – dafür organisieren wir unter anderem die Friday-Lunches «Meet & Eat». Jeden Freitag kocht bei uns in der Cuisine Mondiale jemand vom Atelier Mondial-Team, von den Gastkünstler:innen oder von den lokalen Künstler:innen der Genossenschaft Haus Oslo Ateliers. Die Lunches sind für alle offen, ohne Anmeldung, und dabei ergeben sich dann auch immer wieder Begegnungen, die weiter führen können.»
In der kommenden Ausstellung «Seedlings of Time» werden fünf Kunstschaffende im space25 präsentiert - wie kam die Ausstellung zustande und was hält die Positionen zusammen?
«Wir suchen ja immer wieder neue Partnerinstitutionen für unsere Ausstellungen, wir waren schon im Kunsthaus Baselland zu Gast, im Artstübli, in der Villa Renata, früher mal im Dock; die Kooperation mit dem space25 ist durch Vermittlung und Unterstützung der Christoph Merian Stiftung zustande gekommen. In der Ausstellung, kuratiert von Peter Steinmann und mir, geht es darum zu reflektieren, was ein Auslandsaufenthalt für die künstlerische Biografie bewirken kann. Daniela Brugger beispielsweise war mit Atelier Mondial in Kinshasa und hat dort rund um die Fragen des Recyclings von Elektrogeräten das Thema der «unsichtbaren Arbeit» entdeckt. Yota Tsotra war mit einem Reisestipendium von Atelier Mondial in Griechenland unterwegs, ihre Arbeit untersucht das Thema der Unschuld als eine Form von Widerstand.»

Welche Rolle spielt eine solche Ausstellung für die Künstler:innen – Abschluss, Reflexion, Sichtbarkeit, Vernetzung?
AS: «Ja, es geht vor allem um Reflexion und Sichtbarkeit. Für uns ist es wichtig, dass diese kleinen Wandlungen, die in einer Residency geschehen können, reflektiert und sichtbar gemacht werden können. Und dann wollen wir in diesen Ausstellungen auch immer noch das Thema des Austauschs zeigen. Im space25 haben wir Helena Uambembe mit eingeladen, unsere aktuelle Gastkünstlerin aus Südafrika, die im Moment gerade die Erfahrung einer Residency in Basel macht. Dabei finde ich es spannend zu sehen, wie in der Ausstellung die Werke der Künstler:innen über Kontinente hinweg miteinander zu sprechen beginnen.»
November 2025
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Weitere Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung:
Artist Talk mit Yota Tsotra und Helena Uambembe, Englisch: 11.12.2025, 19h
Artist Talk mit Daniela Brugger, Leonardo Bürgi Tenorio und Sara Gassmann: 29.1.2026, 19h
Samstagsführungen: 13.12.2025, 10h und 31.1.2026, 15h
Finissage: Freitag, 20.2.2026, 17–20h



